Nothilfe

Mit Leib und Seele Kinderschutzexperte


von Susanne Stocker

Gabriel Vockel während einer Feldmission in der Provinz Bandundu zur Unterstützung von Binnenvertriebenen.

Gabriel Vockel während einer Feldmission in der Provinz Bandundu zur Unterstützung von Binnenvertriebenen.

© UNICEF/José Mutima

Trotz seines Reichtums an Rohstoffen ist die Demokratische Republik Kongo eines der ärmsten Länder der Welt. Immer wieder flammen Konflikte und Hungerkatastrophen auf, gezielte Gewalt gegen Kinder und Frauen gehört zur Kriegstaktik und hinterlässt tiefe Wunden.

Gabriel Vockel arbeitet für UNICEF als Kinderschutzexperte in Kinshasa, der Hauptstadt des Landes. In einem zweiteiligen Interview gibt er uns spannende Einblicke in seine Arbeit und zeigt, für welche Projekte Spenden eingesetzt werden.

Hallo Gabriel, schön, dass du dir die Zeit für ein Interview mit uns nimmst. Du arbeitest seit drei Jahren als Kinderschutzexperte für UNICEF in der Demokratischen Republik Kongo. Wie muss man sich als Außenstehender die aktuelle Lage in der DRK vorstellen?

Die aktuellen Prognosen für den Kongo sind leider nicht gut. Verschiedene alte Konflikte im Osten und Süden des Landes schwelen weiter oder haben sich in den letzten zwei Jahren intensiviert.

Zudem ist seit Ende 2016 ein neuer Brandherd in der zentralen Kasaï-Region entstanden. Daher hat sich allein seit Januar 2017 die Zahl der Binnenvertriebenen im Kongo auf nun etwa 4,1 Millionen mehr als verdoppelt – das ist die höchste Zahl in ganz Afrika.

Insgesamt sind hier laut UNICEF 13,1 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, davon 7,8 Millionen Kinder. Das sind Zahlen, bei denen einem wirklich schwindelig werden kann. UNICEF hat hier daher alle Hände voll zu tun und das wird auf absehbare Zeit auch so bleiben.

Insgesamt sind laut UNICEF 13,1 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, davon 7,8 Millionen Kinder.

Insgesamt sind laut UNICEF 13,1 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen, davon 7,8 Millionen Kinder.

© UNICEF/Gabriel Vockel

Was war deine Motivation für UNICEF zu arbeiten?

Ich habe bereits als Student davon geträumt, bei UNICEF zu arbeiten. Für mich ist es wichtig, dass ich für eine Organisation arbeite, die ein "Ideal" verfolgt, mit dem ich mich voll identifizieren kann.

Das ist für mich ein Teil meiner alltäglichen Motivation und ich bin durchaus stolz, unter der "Flagge" von UNICEF arbeiten zu dürfen. Für mich gibt es keine bessere Organisation: weltweit für Kinder die Chancen aufs Überleben und Bildung, den Schutz verbessern – was kann es Besseres geben?

Wie geht deine Familie damit um? Gerade, weil im Kongo viele Konflikte schwelen?

Meine eigene kleine Familie, meine Frau und die beiden ohne Zweifel süßesten Kinder der Welt, sind mit mir in Kinshasa und ich wäre momentan auch nicht bereit, mich länger von ihnen zu trennen.

Meine Familie in Deutschland hat sich daran gewöhnt, einen Weltenbummler in den Reihen zu haben - ich bin das jüngste von fünf Kindern. Wie bei engen Freunden ist die Distanz oftmals kein gar so riesiger Faktor – im Zeitalter von Skype und WhatsApp kann der Kontakt sehr eng sein. Wie oft im Leben zählt die Qualität, nicht Quantität.

Du selbst arbeitest in Kinshasa, im UNICEF-Länderbüro. Wie können wir uns deinen Alltag vorstellen, was sind deine Aufgaben?

Ich bin nun seit etwas über drei Jahren hier im Hauptbüro in Kinshasa – es gibt momentan dazu noch insgesamt 14 "Sub-Büros" in verschiedenen Provinzen des Landes.

Wir stehen in engem Kontakt mit den verschiedenen Kollegen und ich versuche, so oft es geht, Einsätze außerhalb des Büros in meine Arbeit einzubauen, um direkte Eindrücke zu bekommen und die Teams vor Ort zu unterstützen.

Mein persönlicher Arbeitsbereich nennt sich "Kinderschutz" ("child protection"). Dieser hat als Aufgabe, sich um die "verwundbarsten" Kinder zu kümmern.

Damit meinen wir etwa Mädchen und Jungen, die sexueller Gewalt ausgesetzt wurden und von bewaffneten Gruppen als Soldaten oder in anderer Weise im Konflikt eingesetzt wurden. Aber auch Kinder, die von ihren Eltern und Familien getrennt wurden oder zu Waisen geworden sind.

Meine tägliche Arbeit als "Manager" besteht oft darin, mich mit Vertretern der Regierung oder anderer humanitärer Organisationen zu treffen, um Informationen auszutauschen, zu verhandeln, zu überzeugen, zu koordinieren.

Zudem halten wir Geldgeber vor Ort auf dem Laufenden. Beispielsweise über die Botschaften von Ländern, die öffentliche Gelder an UNICEF im Kongo bereitstellen. Dafür berichten wir etwa von unserer Arbeit, vermitteln einen Eindruck der Realität in den verschiedenen Regionen und versuchen Gelder zu akquirieren. Diese können dann wiederum in unsere wichtigen Programme fließen.

Wie hat sich die Lage durch den Kasaï-Konflikt verändert? Wie gefährlich ist es im Kongo? Kannst du z.B. mit Freunden gefahrlos etwas Essen gehen?

Sowohl in Kinshasa als auch in weiteren anderen Landesteilen ist es recht sicher. Aber es gibt natürlich auch sehr gefährliche Regionen, in die wir, wenn überhaupt, nur unter dem Schutz von Blauhelmsoldaten, der sogenannten UN-Friedensmission MONUSCO, dürfen.

Die Ereignisse etwa im Kasaï sind aufgrund der kaum vorhandenen Infrastruktur selbst mit guten Geländewagen aber mindestens drei Tagesfahrten weit entfernt – auf einer deutschen Autobahn wären es nur ein paar Stunden.

Selbst mit einem guten Geländewagen sind viele Regionen nur schwer zu erreichen.

Selbst mit einem guten Geländewagen sind viele Regionen nur schwer zu erreichen.

© Gabriel Vockel

Meine Frau und ich machen uns wegen der Kinder hier in der Hauptstadt die größten Sorgen wegen Malaria und Verkehrsunfällen. Natürlich gibt es ein gewisses Maß an Kriminalität – aber das wäre in Berlin, Rom oder Manila ja auch so.

Seit etwa zwei Jahren gibt es immer wieder gewalttätige Proteste in Kinshasa und anderen urbanen Zentren. Das kann durchaus gefährlich werden. Wir haben daher immer ausreichend Proviant für mindestens zehn Tage zu Hause, sodass wir dort bleiben können – was bislang zweimal nötig war.

Im größten Notfall würde die UNO eine Notevakuierung organisieren, aber dazu sollte es wirklich nur im absoluten Ausnahmefall kommen.

Was war dein schönstes und schlimmstes Erlebnis?

Für mich sind die schlimmen Erlebnisse vielleicht auch die "schönsten" oder sagen wir die wichtigsten. Auch wenn das zunächst paradox klingt.

Ein Beispiel: Im November 2017 war ich in der Provinz Tanganjika, um für UNICEF nach der Vertreibung von hunderttausenden Menschen innerhalb kurzer Zeit eine massive Aufstockung der humanitären Hilfe mit zu planen.

Dabei hatte ich dann die Möglichkeit, viele tausende Menschen in (Binnen-)Flüchtlingslagern zu sehen und mit vielen Kindern zu sprechen. Wir haben hunderte verbrannte Häuser gesehen, zerstörte Felder, weit und breit verlassene Landstriche, die von den Kämpfen zwischen verschiedenen Gruppen leergefegt wurden.

Junges Mädchen, das in der Provinz Tanganjika vertrieben wurde.

Junges Mädchen, das in der Provinz Tanganjika vertrieben wurde.

© Gabriel Vockel

Da gibt es wirklich herzzerreißende Geschichten, kleine Kinder, die ihre Eltern verloren haben, verletzt und traumatisiert sind – das ist hart mitanzusehen.

Aber gleichzeitig wird mir in diesen Situationen auch immer wieder bewusst, wie wichtig unsere Arbeit ist. UNICEF ist hier für viele Menschen ein Stück Hoffnung, Schutz, Nahrung, eine Schulbank oder die einzige Chance medizinische Versorgung zu bekommen.

Und wie Sir Peter Ustinov, seinerzeit UNICEF-Botschafter, einmal sagte: "Unsere Hilfe ist kein Tropfen auf den heißen Stein – es ist ein Tropfen im Ozean, der niemals verloren geht."

Was konnte UNICEF schon im Kongo bewegen?

UNICEF rettet im Kongo jeden Tag Leben. Tausende. Wir arbeiten hart, um ein Minimum an Schutz zu bieten. Dazu ein kleines Stück beitragen zu dürfen, ist für mich mehr als ein Beruf. Es ist das Leben des professionellen und persönlichen Traums.

Neben der Katastrophenhilfe, arbeitet UNICEF gleichzeitig auch an nachhaltig orientierten Projekten. Dank der technischen Unterstützung und intensiven Lobbyarbeit gibt es zum Beispiel seit 2009 ein nationales Gesetz zum Kinderschutz.

Das Familiengesetzbuch wurde gerade überarbeitet und bietet besseren Schutz vor sexueller Gewalt. In den letzten drei Jahren haben wir in elf Provinzen 22 spezialisierte Kinder- und Jugendgerichte gebaut.

Wir bilden Richter und anderes Justizpersonal weiter, arbeiten mit der Polizei und Sozialarbeitern zusammen, um einen adäquateren Umgang mit Kindern zu forcieren. Es gibt noch viele weitere Erfolge, große und kleine – aber das würde hier zu weit führen.

Konntet ihr auch schon mal nichts machen, wart hilflos, weil ihr beispielsweise zu einer Region keinen Zugang erhalten habt?

Gerade in der Kasaï-Region aber auch in bestimmten Gebieten im Nordosten des Landes gibt es nach wie vor gefährliche Landstriche, in die wir nicht (immer) vordringen dürfen.

Noch 2016 wurden zwei junge UN-Experten von Rebellen entführt und getötet. Wir können und dürfen unsere Mitarbeiter natürlich nur bis zu einer gewissen Grenze Gefahren aussetzen.

Auch wenn wir versuchen, so gut wie es geht, unser Mandat zu erfüllen. Wie überall auf der Welt bietet das "UN-Symbol" leider immer weniger Schutz.

Junges Mädchen, das in der Provinz Tanganjika vertrieben wurde.

Junges Mädchen, das in der Provinz Tanganjika vertrieben wurde.

© UNICEF/Gabriel Vockel

Gabriel Vockel ist 39 Jahre alt und gelernter Jurist. Er hat seine Abschlüsse in Münster und Essen gemacht und erwarb zudem einen Master in England in Diplomatie und Völkerrecht.
Nach dem Studium arbeitete er zunächst als Menschenrechtsanalyst in den Friedensmissionen der Vereinten Nationen in Haiti (2008-09) und Burundi (2009-10). Dort untersuchte er vor allem die Lage in Gefängnissen und Polizeistationen in entlegenen Teilen der Länder.
Weiter ging es ab 2010 beim UN-Entwicklungsprogramm sowie später bei UNICEF in New York. Nach der Zeit im Headquarter verbrachte er zwei Jahre im Büro in Kirgistan (2013-14), bevor es vor knapp 3 ½ Jahren in den Kongo ging.

Susanne Stocker
Autor: Susanne Stocker

Online Editor
Stiftung United Internet for UNICEF