© UNICEF/UNI638302/El BabaEin Junge im Gazastreifen wird gegen Polio geimpft
Gesundheit

Impfen gegen eine unsichtbare Gefahr

Poliovirus im Gazastreifen

Gaza
von Autorin Carla Giuseppina Magnanimo

Eigentlich war Polio im Gazastreifen bereits seit einem guten Vierteljahrhundert ausgerottet. Doch mit dem seit fast einem Jahr anhaltenden Krieg fand das Virus seinen Weg zurück. Wenn Häuser und Wasserrohre zerstört und sauberes Wasser nicht mehr vorhanden sind, haben übertragbare Krankheiten ein leichtes Spiel – an einem so zerstörten Ort wie Gaza ein ganz besonders leichtes.

Gaza ist kein sicherer Ort für Kinder

Durch die andauernden Bombardierungen sind Gesundheitseinrichtungen beschädigt und die Wasser- und Sanitärversorgung teilweise zusammengebrochen. Menschen haben all ihren Besitz verloren, müssen immer wieder fliehen und in überfüllten und schlecht ausgestatteten Notunterkünften ausharren. Auch Krankheiten wie Atemwegs- und Durchfallerkrankungen, Hautausschläge oder Mangelernährung gefährden Kinder in Gaza täglich.


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Gaza: Kindheit im Krieg

„Das Leben eines Kindes im Gazastreifen ist kein Leben“, sagte UNICEF-Mitarbeiter Salim Oweis nach seiner Rückkehr aus Gaza. „Es gibt keinen sicheren Ort und alles geht zur Neige – Nahrung, Wasser, Treibstoff, Medikamente. Alles.“ Oweis traf schwer kranke und verletzte Kinder in einem Krankenhaus, die vor Ort in Gaza nicht ausreichend versorgt werden, aber auch nirgendwo anders hinkönnen.

Ein Kleinkind wird von einem Gesundheitshelfer hochgehoben

Mitarbeitende des Gesundheitswesens beginnen mit der Verabreichung von Polio-Impfstoffen in der Klinik Az Zawayda im zentralen Gazastreifen. Teams waren in der ersten Phase der Kampagne täglich von 6.00 bis 14.00 Uhr im Einsatz.

© UNICEF/UNI636610/El Baba

Was genau ist Polio?

Poliomyelitis, kurz Polio, ist eine hochansteckende Infektionskrankheit. Das Virus greift das zentrale Nervensystem an und kann in das Gehirn und Rückenmark der infizierten Person eindringen. Polio wird oft auch als Kinderlähmung bezeichnet, da ein typischer Krankheitsverlauf zu Lähmungen führen kann und insbesondere Kinder unter fünf Jahren gefährdet sind, sich mit Polio anzustecken. Allerdings kann die Krankheit Menschen jeder Altersgruppe treffen, wenn diese nicht geimpft sind. In schwersten Fällen kann das Virus zum Tod führen, wenn die Atemmuskulatur betroffen ist.

Wie verbreitet sich Polio?

Polio kann sich in den ersten 36 Stunden einer Infektion über eine Tröpfcheninfektion verbreiten, also Husten oder Niesen. Nach 72 Stunden verbreitet sich das Virus über Körpersekrete einer an Polio erkrankten Person, zum Beispiel über den Stuhl, Speichel oder andere Körperflüssigkeiten. Wenn es an einem Ort keine hygienischen Sanitäranlagen gibt, wie ausreichend Toiletten oder ein funktionierendes Abwassersystem, kann sich das Virus schnell ausbreiten. Auch wenn es keine Möglichkeit zum Händewaschen nach dem Stuhlgang gibt, kann das Virus durch Berührungen zwischen einer infizierten und einer nicht-infizierten Person übertragen werden.

Was für Typen gibt es?

Man unterscheidet zwischen zwei Typen der Polio: der „wilden Polio“ und der „Impf-Poliomyelitis“. Erstere ist das natürlich vorkommende Virus. Zweiteres hingegen kann in seltenen Fällen durch die Polio-Impfung ausgelöst werden, eine Lebendimpfung, in der sich abgeschwächte Polio-Viren befinden. Dieser Typus kommt dann vor, wenn nicht genügend Menschen an einem Ort geimpft sind. Auch die Umstände, unter denen die Menschen leben, können einen Einfluss haben: besonders schlechte hygienische Verhältnisse begünstigen eine Erkrankung mit der Impf-Poliomyelitis. Wenn Kontaktpersonen, die sich an den abgeschwächten Polio-Viren infizieren, die über den Stuhl ausgeschieden werden, keine Antikörper bilden, kann das Virus mutieren und damit neue Polio-Infektionen auslösen. Nicht der orale Polio-Impfstoff ist also das Problem, sondern die zu geringe Impfquote in einer Region.

Impfungen der einzige Weg zur Bekämpfung

Tatsächlich war das Virus an vielen Orten der Welt bereits ausgerottet. In den letzten 30 Jahren wurden weltweit mehr als 2,5 Milliarden Kinder gegen Polio geimpft. Damit ging die Zahl der Erkrankungen um 99 Prozent zurück. Es gibt zwei Impfstoffe gegen Polio.

Ein Mitarbeiter von UNICEF prüft eine Lieferung

Ein UNICEF-Mitarbeiter prüft eine der 1,6 Millionen Lieferungen von Impfdosen gegen das Poliovirus.

© UNICEF/UNI637590/Izhiman

Als Reaktion auf den aufgetretenen Fall der Kinderlähmung in Gaza hat UNICEF, gemeinsam mit anderen Partnern, für eine sofortige gebietsweise Waffenruhe appelliert, um Kinder unter zehn Jahren gegen Polio impfen zu können und so eine Verbreitung der Krankheit zu vermeiden. „Die vereinbarten Pausen wurden in dieser ersten Phase der Impfkampagne eingehalten. Dies hat sowohl den Familien als auch dem Gesundheitspersonal das nötige Vertrauen gegeben, die Arbeit umzusetzen“, sagt Adele Khodr, UNICEF-Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika.

Mehr als 560.000 Kinder wurden im Gazastreifen in der ersten Runde gegen Polio geimpft. Viele Familien machten sich trotz der gefährlichen Umstände auf den Weg, um ihre Kinder impfen zu lassen. Eine zweite Impfrunde wird im Oktober folgen.

Ein gefährliches Unterfangen

Die derzeitige Impfkampagne in Gaza ist eine der gefährlichsten und schwierigsten Impfkampagnen weltweit. Trotz der gebietsspezifischen humanitären Pause ist die Impfkampagne gegen Polio mit großen Gefahren und vielen Hindernissen konfrontiert. Dazu gehören zerstörte Straßen, die Vertreibung der Familien sowie unterbrochene Versorgungswege. Hinzu kommen Schwierigkeiten bei der Lagerung der Impfdosen, da viele Einrichtungen im Gazastreifen nicht mehr funktionieren und keine Kühlketten einhalten können. Aus diesem Grund brachte UNICEF zusätzlich noch Hilfsgüter wie Kühlboxen nach Gaza, um die Impfdosen in Lagerhäuser und von dort in den Kühlboxen zu den mobilen Impfteams zu transportieren.

Unsere Stiftung United Internet for UNICEF unterstützt UNICEF bei ihrer humanitären Hilfe in Gaza und dabei, Kinder dort mit dem Dringendsten zu versorgen.

Carla Giuseppina Magnanimo
Autor: Carla Giuseppina Magnanimo

Online Editor
Stiftung United Internet for UNICEF