
Madagaskar: Klimawandel als immenser Stressfaktor
Dürren, Zyklone, Wassermangel - der Klimawandel ist längst angekommen. So auch auf dem ostafrikanische Inselstaat Madagaskar. Die Klima- und Umweltexpertin, Anneleen Van Uffelen ist dort für UNICEF tätig und wird täglich mit den Auswirkungen konfrontiert. Im Gespräch berichtet sie von einem innovativen Projekt im Süden des Landes.
Dass der Klimawandel weltweit zu einem Problem wird, ist kein Geheimnis mehr. 2024 war, laut Weltwetterorganisation WMO, das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnung 1881. Jeder Bruchteil eines Grades, um den sich die Erde erwärme, verstärke Wetterextreme, so warnt die WMO-Generalsekretärin Celeste Saulo.
In Madagaskar, dem größten Inselstaat an der Südostküste Afrikas, ist der Klimawandel schon längst schmerzliche Realität. Im Süden trocknet das Land immer weiter aus, Flüsse und Seen versiegen. 2021 standen die Menschen hier am Rande einer Hungersnot, ausgelöst durch eine mehrjährige Dürre, die durch den Klimawandel verstärkt wurde. Im Norden des Landes werden Infrastruktur, wie Schulen und Krankenhäuser, immer wieder von heftigen Zyklonen zerstört. Auch diese werden durch den Klimawandel immer stärker, langanhaltender und gefährlicher.
Der Großteil der Menschen in Madagaskar lebt in extremer Armut – das, was sie dem Klimawandel entgegenzusetzen haben, geht gen null. Anneleen Van Uffelen ist Klima- und Umweltexpertin bei UNICEF Madagaskar und stellt sicher, dass Kinderrechte in der Klimakrise ausreichend mitgedacht werden.
Frau Van Uffelen, Sie reisen viel durch Madagaskar und sprechen mit den Menschen und Kindern in den Dörfern. Wie lebt es sich als Kind in Madagaskar?
Anneleen Van Uffelen: Das kommt ein bisschen drauf an - wenn man ein Kind in der Hauptstadt Antananarivo ist, dann ist die Situation ganz anders als in den ländlichen Gegenden. Über 80 Prozent der Bevölkerung in Madagaskar lebt unter der Armutsgrenze. Das bedeutet, dass sie unter 2,15 Dollar am Tag zur Verfügung haben. Im Süden von Madagaskar ist die Situation besonders schlimm. Hier ein Kind zu sein, sieht ganz anders aus.
Können Sie uns die Situation im Süden schildern?
Über die letzten Jahre gab es immer wieder lange Trockenperioden. Das hat einen starken Einfluss auf die Situation der Kinder. Zum Beispiel nehmen die Eltern ihre Kinder, während der Trockenperiode, oft aus der Schule, damit sie auf dem Feld helfen, sich um das Vieh kümmern oder bei anderen Haushaltstätigkeiten mitarbeiten können. Manche können sich den Schulbesuch ohne diese Unterstützung ihrer Kinder schlicht nicht mehr leisten.
Wenn Kinder aus der Schule genommen werden, dann ist das immer eine Form von Gewalt gegen ihre Rechte.
Was passiert mit den Kindern, wenn sie nicht mehr zur Schule gehen können?
Es wird schwieriger die Kinder vor Gewalt zu schützen. Das kann sowohl psychische als auch physische Gewalt sein. Mädchen zum Beispiel müssen häufig lange Wege hinter sich legen, um Wasser, Holz oder Kohle zu holen. Sie sind so einem größeren Risiko ausgesetzt und es kann zu vermehrter Gewalt gegen sie führen. Wenn Kinder aus der Schule genommen werden, dann ist das immer eine Form von Gewalt gegen ihre Rechte.
UNICEF listet Madagaskar unter den ersten zehn Ländern weltweit in denen Kinder am verwundbarsten gegenüber dem Klimawandel und Naturkatastrophen sind. Welche Auswirkungen kann UNICEF in Madagaskar bereits beobachten?
Hier erhöht sich die Temperatur schneller als im globalen Vergleich und das ist ein Riesenproblem. Es gibt bereits eine 0,35 Grad Erhöhung der Temperatur pro Jahrzehnt. Die Frequenz und Intensität der Trockenperioden hat sich erhöht, vor allem im Süden. Im Norden werden Zyklone und Überflutungen immer häufiger und heftiger.
Hat die Gewalt gegen Kinder, die Sie zuvor erwähnt hatten, etwas mit den Auswirkungen der Klimakrise zu tun?
Je heftiger die Menschen von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind, desto eher wenden sie negative Bewältigungsstrategien bei Stress an. Viele Eltern sind überfordert und schalten in den Überlebensmodus. Manchen ist nicht klar, dass es eine Form von Gewalt ist, ihre Töchter unter 18 zu verheiraten. Für viele ist es ein Weg, die Familie finanziell zu entlasten, aber sie haben auch die Hoffnung, dass ihre Töchter woanders womöglich besser versorgt werden. Wir arbeiten eng mit den Familien zusammen, um ein Bewusstsein zu schaffen, was Gewalt gegen Kinder ist und welche Alternativen sie haben.
Der Klimawandel ist ein globales Problem, was auch nur auf globaler Ebene angegangen werden muss. Wie versucht UNICEF den Menschen zu helfen, die jetzt schon so akut davon betroffen sind?
Was wir über die letzten Jahre realisiert haben, ist, dass UNICEF eine wichtige Rolle spielt im Bereich von Umweltschutz und Klimaanpassung. Und wir deshalb auch viel tun müssen! Aus diesem Grund haben wir in Madagaskar unter anderem das Ecovillage-Programm entwickelt.
Einblicke in das Ecovillage Ankaranabo:

Bild 1 von 10 | Ein Mitarbeitender des von UNICEF unterstützen Gesundheitszentrums kümmert sich um den bürokratischen Aspekt. In dem Zentrum können Mütter ihre Kinder behandeln und impfen lassen. UNICEF hat in dem Gebäude für eine stetige Stromversorgung gesorgt, sodass die Behandlung dort reibungslos verlaufen kann. Vor allem Malaria und Mangelernährung sind ein großes Problem in der Region und viele Mütter kommen täglich in das Zentrum, das nicht weit vom Zentrum des Dorfs entfernt ist.
© UNICEF/UNI658443/Andrianantenaina
Bild 2 von 10 | Sizamena mit ihrer Tochter Sambitano auf dem Arm - das kleine Mädchen verlor nach einer Infektion mit Malaria viel Gewicht. Sizamena bekam Hilfe in einem von UNICEF unterstützen Gesundheitszentrum, nicht weit entfernt von ihrem Haus. Bei unserem Besuch im Ecovillage luf sie uns in ihr Zuhause ein, um über die Situation im Dorf und die Mangelernährung ihrer Tochter zu sprechen.
© UNICEF/UNI658450/Andrianantenaina
Bild 3 von 10 | DIe kleine Sambitano bleibt tapfer bei der Untersuchung im Gesundheitszentrum. Hier brachte ihre Mutter Sizamena sie hin, um sie auf Mangelernährung untersuchen zu lassen. Wie auf dem Foto zu sehen, ist Sambitano noch nicht wieder über den Berg und muss weiter mit therapeutischer Zusatznahrung behandelt werden. Die Auswirkungen des Klimawandels haben hier in Anakaranabo einen dramatischen Effekt auf das Leben der Menschen: immer länger anhaltende Dürren lassen Ernten verkommen und es gibt immer weniger Essen und sauberes Wasser. Ansteigende Fälle von Mangelernährung sind eine Folge davon.
© UNICEF/UNI658445/Andrianantenaina
Bild 4 von 10 | Sizamena kann endlich wieder lachen, nachdem sie lange um die Gesundheit ihrer Tochter gebangt hat. Sambitano erhält therapeutische Zusatznahrung im Gesundheitszentrum und offensichtlich geht es ihr gut damit.
© UNICEF/UNI658451/Andrianantenaina
Bild 5 von 10 | Tessa Page im Gespräch mit zwei Schülerinnen in Ankaranabo. Eines konnten wir auf unserer Reise immer wieder feststellen: Bildung ist ein fundamentaler Bestandteil für die Zukunft von Kindern. Bildung kann ihnen helfen, aus dem Kreislauf aus Armut und Abhängigkeit von bestimmten Sektoren, wie der Landwirtschaft, auszubrechen. Außerdem können sie in der Schule das sein, was sie sind: Kinder. Vor allem für junge Mädchen ist die Schule essenziell, um sie vor Zwangsehen und frühen Schwangerschaften zu schützen.
© UNICEF/UNI658432/Andrianantenaina
Bild 6 von 10 | Zafia geht wieder zur Schule - auch dank UNICEF und der Initiative im Ecovillage. Zwei Jahre lang konnte er nicht zur Schule gehen, da er seiner Mutter helfen musste, Geld für die Familie zu verdienen. Also verkaufte er Gemüse und Kohle auf dem Markt. Außerdem war er für das Wasserholen zuständig, eine Aufgabe, die häufig Kindern zukommt. Durch die Auswirkungen des Klimawandels werden die Wasserquellen immer weniger und oft sind sie so weit weg, dass die Kinder den größten Teil des Tages damit beschäftigt sind und so die Schule verpassen. UNICEF hat dabei Abhilfe geschaffen...
© UNICEF/UNI658439/Andrianantenaina
Bild 7 von 10 | ... und in der Nähe einiger Häuser eine Wasserpumpe installiert. So muss Zafia nun nur noch hinter sein Haus laufen und kann dort seine Wasserkanister befüllen. Das gestaltet seinen Alltag und den seiner Familie, deutlich einfacher und er hat wieder mehr Zeit, um zur Schule zu gehen.
© UNICEF/UNI658440/Andrianantenaina
Bild 8 von 10 | Francine hat den größten Teil ihres Lebens in Ankaranabo verbracht und erzählt uns bei unserem Besuch davon, was sich in den letzten Jahren verändert hat. Das wichtigste für sie ist Bildung, denn es sei der einzige Weg, um etwas anderes zu lernen und nicht von der Landwirtschaft abhängig zu sein, die durch den Klimawandel immer unbeständiger wird.
© UNICEF/UNI658453/Andrianantenaina
Bild 9 von 10 | Fostine zeigt stolz die Binden, die sie hergestellt hat. Dank einer lokalen NGO und der Unterstützung von UNICEF konnte sie die Binden zu einem Geschäft machen und verkauft diese nun. Die Nachfrage, so sagt sie bei unserem Besuch, würde immer größer werden. Sie und die anderen Schneiderinnen im Dorf betreiben außerdem Aufklärungsarbeit zur Periode und Hygiene, insbesondere für Frauen.
© UNICEF/UNI658459/Andrianantenaina
Bild 10 von 10 | Innovation wird großgeschrieben im Ecovillage. So versucht UNICEF gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Dorfes Wege zu finden, wie sie von dem profitieren können, was in der Umwelt im Übermaß verfügbar ist, ohne der Umwelt zu schädigen. Es gibt Experimente mit der ökologisch abbaubaren Kohle, die aus Kuhdung und Blättern besteht.
© UNICEF/UNI658461/AndrianantenainaWas ist das für ein Programm?
Wir arbeiten eng mit den Menschen in den Dörfern zusammen - wir diskutieren mit ihnen über ihre Bedürfnisse und helfen ihnen, alternative Lebensentwürfe zu finden. Wir versuchen einen Wandel in der Dorfdynamik herbeizuführen, der gleichzeitig einen positiven Beitrag zur Umwelt und Klimaanpassung leistet und ein besseres Leben für die Kinder schafft. Zum Beispiel helfen wir bei der Entwicklung alternativer Einkommensquellen. Wir unterstützen die Menschen dabei, besser mit der sich verändernden Umwelt umzugehen und sich an die neuen Bedingungen des Klimawandels anzupassen.
Es ist wie ein positiver Dominoeffekt: alles fällt und steht miteinander. Und da der Klimawandel ein Stressfaktor ist, muss man Bedingungen schaffen, die den Menschen helfen, mit diesem Stress umzugehen.
Das klingt sehr innovativ. Was ist der Unterschied zu anderen Projekten von UNICEF?
Sonst konzentriert man sich in den Projekten eher auf Teilbereiche, wie zum Beispiel Ernährung, Bildung, oder Hygiene und Wasser. Das Problem ist, das die Kinder manchmal in der Schule lernen, wie man sich nachhaltig verhält, dass aber in der Folge nicht immer bei den Eltern ankommt und dementsprechend nicht dazu führt, dass sie etwas ändern. Auch weil sie sich so oft in Notsituationen befinden. Da haben wir realisiert, dass wir all unsere Themenbereiche in das Dorf einfließen lassen müssen, um eine Veränderung zu schaffen. Es ist wie ein positiver Dominoeffekt: alles fällt und steht miteinander. Und da der Klimawandel ein Stressfaktor ist, muss man Bedingungen schaffen, die den Menschen helfen, mit diesem Stress umzugehen.
Wie wird ein Ecovillage aufgebaut?
Jedes Ecovillage beginnt mit dem Aufbau einer Grundinfrastruktur. Darauf folgt eine Evaluation, an welchem Stand sich das Dorf befindet, was schon vorhanden ist, wie die Menschen ihre Umwelt wahrnehmen und welche Veränderungen sie sich vorstellen. Wir sprechen mit ihnen über ihr Verhalten, Nachhaltigkeit und die Auswirkungen des Klimawandels. Aufgrund dessen wird dann das Ecovillage-Programm geschaffen – ganz individuell nach den Bedürfnissen der Menschen und des Dorfes.
Woraus besteht die Grundausstattung, die am Anfang implementiert wird?
Wir sorgen beispielsweise für Licht, in den Schulen, in den Gesundheitszentren, aber auch auf den Straßen. Ohne Licht kann es unsicher und gefährlich werden und viele Menschen haben sich abends nicht auf die Straßen getraut. Eine Krankenpflegerin, die im Gesundheitszentrum kein Licht hat, kann ihre Arbeit nicht richtig ausführen. Deswegen ist Licht einer der Grundpfeiler. Auch Zugang zu Trinkwasser braucht jedes Dorf, außerdem Wasser für die Landwirtschaft, um Grundnahrungsmittel wie Maniok, Salat oder Kohl anzubauen. Zudem gibt es erste Programme zur Umweltbildung in den Schulen, wo Kinder Bäume pflanzen, um zu lernen, wie wichtig diese für die Umwelt sind. Dann gibt es noch das „Life Skills“ - Programm, wo den Kindern beigebracht wird, was Gewalt ist und wie sie sich dagegen wehren können.
Wie kann gewährleistet werden, dass die Maßnahmen auch umgesetzt werden?
Wir reevaluieren in regelmäßiger Frequenz, wie der Status ist. Uns ist es wirklich wichtig, dass die Bewohner das Gefühl haben, dass sie verantwortlich sind für die Veränderungen in ihren Dörfern. Und das kann nur stattfinden, wenn es zu einer wirklichen Interaktion zwischen den Menschen und uns gibt und sie genau verstehen, warum wir welche Veränderungen angehen sollten.
Wie viele Ecovillages gibt es in Madagaskar inzwischen?
Wir haben mit vier begonnen und wir sind dieses Jahr auf 21 hochgegangen – allerdings alle auf unterschiedlichen Stufen. In manchen Dörfern haben wir in der Vergangenheit schon eine Wasserinfrastruktur aufgebaut, in anderen nicht. In manchen gibt es auch schon Umweltbildungsprogramme. Deswegen ist es sehr wichtig, die Bedürfnisse des Dorfes ernst zu nehmen und nicht in allen dasselbe zu machen. Das würde den Menschen dort nicht helfen.
Was erhofft sich UNICEF von den Ecovillages?
Das Programm soll dazu beitragen, dass Madagaskar eine immer wichtigere Rolle spielt, wenn es Anpassung an den Klimawandel geht – als positives Vorbild. Wir hoffen, dass wir den Dörfern und Menschen genügend Mittel zur Verfügung stellen können, damit ihre Fähigkeiten und auch die neu erschlossenen Märkte einen positiven Einfluss auf die umliegenden Dörfer haben. Damit diese auch von den Veränderungen profitieren können.
Was denken Sie, Frau Van Uffelen, wie wird die Zukunft von Madagaskar aussehen?
Es gibt nur acht Länder auf der Welt, die mehr Emissionen vermindern als sie ausstoßen und eines davon ist Madagaskar. Die Regierung tut viel dafür, dass das Land emissionsnegativ bleibt - das wäre auch meine Hoffnung. Ich hoffe sehr, dass internationale Klimabestimmungen und Verträge etwas bewirken und eingehalten werden, damit die Bevölkerung von Madagaskar unterstützt wird. Das Land braucht Möglichkeiten, um weitere Entwicklungen finanzieren zu können. Es ist so wichtig für die Menschen hier, dass ihre Grundbedürfnisse erfüllt sind, um sich dem Klimawandel anpassen zu können.

Zur Gesprächsperson:
Anneleen Van Uffelen ist Klima und Umweltexpertin bei UNICEF Madagaskar und stellt sicher, dass Kinderrechte in der Klima-, Biodiversitäts- und Umweltkrise ausreichend mitgedacht werden. Gemeinsam mit Experten und Expertinnen aus den Bereichen Gesundheit, Wasser und Hygiene, Ernährung, Bildung, Kinderschutz, Sozialschutz, und Verhaltensänderung, erarbeitet Van Uffelen Umweltschutz- und Klimawandel Anpassungsprogramme, welche den Kindern in Madagaskar eine Zukunft garantieren.

Online Editor
Stiftung United Internet for UNICEF