Porträt zweier Brüder in einem Flüchtlingscamp in Afghanistan.
© UNICEF/UN0498793/UNICEF AfghanistanPorträt zweier Brüder in einem Flüchtlingscamp in Afghanistan.
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7 Fakten über Kindsein in Afghanistan


von Laura Sandgathe

Afghanistan gehört zu Asien und grenzt an Pakistan, China, Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan und den Iran. Es gibt einige größere Städte wie die Hauptstadt Kabul, Kandahar, Herat, Mazar-i Sharif oder Kundus. Doch die Mehrheit der Menschen lebt auf dem Land, viele von ihnen in sehr schwer zugänglichen, gebirgigen Regionen. Weithin bekannt ist der Hindukusch, das riesige Gebirge, dessen überwiegender Teil in Afghanistan liegt.

Etwa 40 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten in der Landwirtschaft, knapp 40 Prozent im Dienstleistungssektor. 2021 lag Afghanistan auf Platz 6 der ärmsten Länder der Welt. Die politische Situation ist seit längerer Zeit hochgradig instabil. Immer wieder flammte Gewalt auf, auch Kinder wurden verletzt und getötet. Familien flohen vor den Gefechten. Im August 2021 kam dann die erneute Machtübernahme der Taliban.

In Afghanistan leben etwa 38,9 Millionen Menschen. Rund 41 Prozent davon sind dem United Nations Population Fund zufolge Kinder zwischen 0 und 14 Jahren. Rund zehn Millionen afghanische Mädchen und Jungen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Krise in Afghanistan: Kinder auf der Flucht leben auf der Straße

Diese Kinder mussten von zuhause fliehen und leben nun auf der Straße. Wenn der Winter kommt, sind sie der Kälte nahezu schutzlos ausgeliefert.

© UNICEF/UN0502862/Kohsar/AFP


Wie ist das Leben der Kinder in Afghanistan?

1. Drei Mahlzeiten pro Tag sind die absolute Ausnahme

Für ein Kind in Afghanistan ist es sehr wahrscheinlich, dass es heute nicht satt wird. Und morgen auch nicht, genauso wenig übermorgen. Die politische Unsicherheit und der dadurch verursachte Niedergang der Wirtschaft, eine schwere Dürre und die Folgen der Corona-Krise haben vielen Familien ihre Lebensgrundlage genommen. Nun haben sie kaum Geld für Lebensmittel. UNICEF-Mitarbeiter Salam Al-Janabi hat in der Provinz Herat mit Familien gesprochen. Er berichtet, dass Viele nichts als trockenes altes Brot essen, getunkt in Tee.

Im September und Oktober wussten einer Analyse zufolge 19 Millionen Menschen im Land nicht, wie und woher sie ihre nächste Mahlzeit bekommen sollten. Das ist etwa die Hälfte der Bevölkerung. Und die Prognosen für die kommenden Monate sind besorgniserregend. Es wird erwartet, dass die Zahl schnell steigen wird.

Afghanistan Kinder: Porträt eines Jungen in einem therapeutischen Ernährungszentrum in Herat

In dem von UNICEF unterstützten Zentrum für therapeutische Ernährung in Herat erhält der 15 Monate alte Javid therapeutische Nahrung und medizinische Versorgung.

© UNICEF/UN0530471/Bidel

Für Kinder ist der Hunger besonders bedrohlich. Die Experten und Expertinnen von UNICEF schätzen, dass etwa 3,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren bis Ende 2021 von akuter Mangelernährung bedroht sein werden. Mindestens eine Million Kinder sind sogar in Gefahr, lebensbedrohlich mangelernährt zu sein. Sie könnten sterben, wenn ihnen nicht schnell geholfen wird.

UNICEF hilft mangelernährten Kindern mit Spezialnahrung wie Erdnusspaste. Durch die Behandlung geht es den meisten Kindern innerhalb von sechs Wochen deutlich besser. Diese Hilfe wird ergänzt durch das Verteilen von Lebensmitteln, etwa durch das Welternährungsprogramm.

Afghanistan Kinder: Helfer des Welternährungsprogramms verteilen Lebensmittel

Ein Helfer des Welternährungsprogramms transportiert Lebensmittel für eine Familie. Immer mehr Menschen in Afghanistan sind auf diese Unterstützung angewiesen.

© UNICEF/UN0530584/Bidel

2. Jetzt im Winter ist es eiskalt

Im Winter wird es in Kabul nachts durchschnittlich um die -7 Grad kalt - in anderen Regionen kann es aber auch bis zu -25 Grad kalt werden. Vor allem im Norden des Landes sind die Winter sehr kalt. Und die Kälte kann sich über Wochen halten.

Derzeit, Anfang 2022, hat der Winter das Land im Griff. Es ist Schnee gefallen, die Temperaturen liegen vor allem nachts weit unter dem Gefrierpunkt. Das ist insbesondere für Kinder auf der Flucht und in armen Familien eine große Gefahr.

Schon im Sommer war es schlimm, wenn Kinder auf der Straße oder in Zelten übernachten mussten. Doch im Winter wird es dort nun zusätzlich eiskalt. Und auch wer ein Zuhause hat, ist oft nur wenig besser dran. Viele Familien sind infolge der politischen Instabilität und der dadurch verursachten Wirtschaftskrise mittlerweile so arm, dass sie kein Geld für eine Heizung oder für warme Kleidung haben. Viele Kinder werden krank. Auch die Gefahr, dass Kinder erfrieren, ist real.

Sie brauchen dringend wärmende Kleidung und Schuhe, Decken – und vor allem eine feste, warme Unterkunft. Das gilt auch für Kinder aus armen Familien. Sie leben oft in einfachen Hütten und haben nur wenig Geld, um Feuerholz oder andere Mittel zum Heizen zu bezahlen.

3. Kinder dürfen zur Schule gehen – aber nicht alle

"Das Bild ist nicht überall gleich", sagt Salam Al-Janabi, Sprecher von UNICEF Afghanistan, wenn man ihn zum Thema Bildung fragt. In vielen Provinzen gehen Jungen und Mädchen wieder zur Schule, auch ältere Mädchen. Doch es gibt Regionen, in denen jugendliche Mädchen nicht am Unterricht teilnehmen dürfen.

Afghanistan Kinder: Mädchen sitzen in einem Klassenzimmer

Diese Mädchen lernen in einem Klassenzimmer in Herat. Grundschülerinnen und Grundschüler sind landesweit in die Schule zurückgekehrt, ältere Schülerinnen nur in einigen Provinzen.

© UNICEF/UN0518459/Bidel

Insgesamt gehen in Afghanistan vier Millionen Kinder nicht zur Schule, davon sind über die Hälfte Mädchen. Schon vor der Machtübernahme der Taliban bekamen insbesondere viele Mädchen keine gute Ausbildung. Dies hat Auswirkungen auf den gesamten weiteren Lebensweg der Mädchen und natürlich auch der Jungen. Deshalb setzen wir uns gemeinsam mit UNICEF dafür ein, dass alle Kinder zur Schule gehen und dass auch Lehrerinnen unterrichten dürfen.

4. Risiko von Kinderehen könnte wieder steigen

Rubaba (18) erzählt: "Ich habe Freundinnen, die auch bald 18 werden, so wie ich. Ich mache mir Sorgen. Seit ich 15 bin, werben Männer um mich und wollen mich heiraten. Ich habe meine Familie angefleht, dass ich erst meine Ausbildung zu Ende machen darf. Doch ich habe Angst, dass ich doch früher heiraten muss."

Leider sind Rubabas Sorgen nicht unbegründet. Eines von drei Mädchen in Afghanistan wird verheiratet, bevor es 18 Jahre alt wird – obwohl Kinderheirat in Afghanistan illegal ist. UNICEF-Experten fürchten, dass die Zahl der Kinderehen sogar steigen könnte. Die extrem angespannte wirtschaftliche Lage treibt Familien immer tiefer in die Armut und zwingt sie, verzweifelte Entscheidungen zu treffen – wie etwa ihre Töchter zu verheiraten. "Uns wurde berichtet, dass Familien schon für Töchter, die gerade einmal 20 Tage alt sind, eine zukünftige Ehe aushandeln, um eine Mitgift zu erhalten", sagt UNICEF Exekutivdirektorin Henrietta Fore.

Kinderehe hat oft lebenslange Auswirkungen für die Mädchen. Viele schließen die Schule nicht ab. Sie haben ein höheres Risiko, häusliche Gewalt, Diskriminierung und Missbrauch zu erleben, was häufig auch ihre mentale Gesundheit beeinträchtigt.

UNICEF nutzt ihren Einfluss auf allen Ebenen, um sich für Kinderrechte und somit auch für die Rechte von Mädchen einzusetzen und Zwangsverheiratungen zu verhindern. Dabei hilft, dass UNICEF seit über 70 Jahren in Afghanistan aktiv ist und ein starkes Netz von Partnern und Kontakten hat. UNICEF unterstützt arme Familien auch finanziell, um die Kinder vor Kinderheirat, aber auch vor Hunger und Kinderarbeit zu schützen.

5. Polio ist eine reale Gefahr – noch

Der Wildtyp des Polio-Erregers ist nur noch in zwei Ländern auf der Welt endemisch. Eines davon ist Afghanistan, das andere Pakistan. An Polio, auch Kinderlähmung genannt, zu erkranken, ist also eine Gefahr für Kinder in Afghanistan - doch wenn es gut läuft, nicht mehr lange.

Polio ist auch unter dem Namen Kinderlähmung bekannt. Die Krankheit wird durch ein Virus ausgelöst und ist hoch ansteckend. Es kann zu einer Lähmung der Arme, Beine und der Atmung und damit im schlimmsten Fall zum Tod kommen. Eine Impfung bietet einen guten Schutz. Allerdings haben 46 Prozent der afghanischen Kinder zwischen 12 und 23 Monaten ihre Grundimpfungen noch nicht erhalten, zu denen auch Impfungen gegen Polio gehören würde.

Afghanistan Kinder: Zwei Kinder zeigen nach der Polio-Impfung die Markierung an ihrem Finger

Guckt, wir sind geimpft: Der mit dunkler Farbe markierte kleine Finger zeigt, dass diese Kinder ihre Impfung gegen Polio bekommen haben. Das Foto stammt aus September 2020. Im November 2021 ist eine neue Impfkampagne gestartet.

© UNICEF/UN0353279/Shah

Gleichzeitig gibt es aktuell eine nahezu einmalige Chance, Polio in Afghanistan auszurotten. Denn in 2021 wurde bislang nur ein Fall gemeldet. Am 8. November hat UNICEF daher gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation eine Impfkampagne gestartet. Sie ist das Ergebnis von Verhandlungen der beiden Hilfsorganisationen mit den Taliban. Nun gehen mobile Teams von Tür zu Tür, um möglichst viele Kinder zu erreichen und zu schützen. Unter anderem impfen die Hilfskräfte auch Mädchen und Jungen in Regionen, die für humanitäre Nothilfe seit einigen Jahren nicht zugänglich waren.

6. Trinkwasser aus dem Wasserhahn?

Wenn ein Kind in Deutschland Durst hat oder sich die Hände waschen möchte, dreht es einfach den Hahn auf. Für Kinder in Afghanistan sieht die Situation anders aus. Viele Mädchen und Jungen in Afghanistan nehmen morgens einen oder zwei Kanister und machen sich auf den Weg, Trinkwasser zu holen. Oft laufen sie mehrere Kilometer.

Afghanistan Kinder: Familien holen mit Kanistern Trinkwasser

Im Vertriebenenlager in Herat haben nur die wenigsten Unterkünfte einen Wasseranschluss. Diese Kinder holen mit Kanistern Trinkwasser für ihre Familien.

© UNICEF/UN0509168/Bidel

33 Prozent der afghanischen Bevölkerung haben zuhause keinen direkten Zugang zu Trinkwasser, so ein Bericht von UNICEF und Weltgesundheitsorganisation. Das betrifft vor allem Familien in entlegenen, schwer zugänglichen Dörfern sowie in Vertriebenenlagern. Dabei ist Trinkwasser – ebenso wie eine Toilette und die Möglichkeit, sich zu waschen – essentiell für die Gesundheit von Kindern.

UNICEF ist im Einsatz, damit Familien festinstallierte Zugänge zu Trinkwasser bekommen. Im Jahr 2020 hat das Kinderhilfswerk das für 122.000 Menschen möglich gemacht.

Afghanistan Kinder: Ein Junge wäscht sich an einer von UNICEF installierten Wasserstation

Hier gibt es schon Trinkwasser aus dem Hahn: Am Regionalkrankenhaus in Herat haben wir von UNICEF eine Wasserstation aufgestellt.

© UNICEF/UN0530465/Bidel

7. Die meisten Kinder haben nie Frieden erlebt

Konflikt, Gewalt und Gefechte sind Teil des Lebens in Afghanistan – seit mehr als zwanzig Jahren. In einigen Regionen des Landes gab es ruhigere, friedlichere Perioden, in anderen nicht. In der ersten Hälfte des Jahres 2021 sind mehr als 550 Kinder bei Gefechten ums Leben gekommen. 1.400 wurden verletzt, zahlreiche Mädchen und Jungen traumatisiert.

"An einem Tag waren die Gefechte so heftig, dass mein Vater uns in den Keller geschickt hat. Dort haben wir uns versteckt. Ich habe mich am Kleid meiner Mutter festgehalten und zu ihr gesagt: 'Halt mir die Ohren zu!', damit ich die Explosionen nicht mehr hören konnte", erzählt die elfjährige Habiba.

Erlebnisse wie die von Habiba können Kinder traumatisieren. Dies kann ihre mentale und körperliche Gesundheit und ihr Wohlbefinden ihr Leben lang negativ beeinflussen. Habiba und ihre Familie flohen von zuhause und kamen in einem Vertriebenenlager unter. Dort gibt es auch ein von Kinderzentrum von UNICEF. Hier haben Habiba und die anderen Kinder einen Ort, um zu spielen und die Erlebnisse zu verarbeiten.

Afghanistan Kinder: Mädchen hüpfen unter blauem Himmel durch Reifen

Habiba und ihre Freundinnen spielen am liebsten draußen.

© UNICEF/UN0484305/UNICEF Afghanistan
UNICEF-Redakteurin Laura Sandgathe
Autor: Laura Sandgathe

Laura Sandgathe ist Online-Redakteurin und Chefin vom Dienst. Sie bloggt über die UNICEF-Arbeit weltweit - über Kinder, Helfer*innen und die Projekte, in denen sie einander treffen.